Kondorkinder

Das Spiegelbuch und die verlorenen Geschichten

von Sabrina Železný
vorgestellt von Tina Alba

Kondorkinder»Geschichten sind wilde Tiere. Du kannst ihr Vertrauen gewinnen, aber du kannst sie nie ganz zähmen.«

Malinka liebt zwei Dinge – das Erzählen phantastischer Geschichten und die Weiten Perus. Aber ihr Auslandsjahr liegt lange zurück und in ihrem Alltag finden die magischen Erzählungen keinen Platz mehr. Damit hat sie sich schweren Herzens abgefunden, bis plötzlich Matteo auftaucht. Damals im Studium hat er Malinkas Phantasiegeschichten verspottet, nun ist ausgerechnet ihm ein magisches Buch in die Hände gefallen, das ihn tödlich verflucht hat. Einzig Malinka kann sein Leben retten, doch dazu muss sie im Hochland der Anden die Geschichte finden, die dem lebendigen Buch einst verlorenging. Eine gefahrvolle Reise beginnt, die Matteo und Malinka nicht nur quer durch Peru führt, sondern auch auf die Spuren einer Geschichtenerzählerin, die vor langer Zeit den Zorn der Berggötter herausforderte.

***

2013 erschienen Sabrinas „Kondorkinder“ zum ersten Mal, damals noch als Zweibänder. Diese Veröffentlichung wurde allerdings der Art, wie Sabrina diese Geschichte erzählen wollte, in keiner Weise gerecht. Vergangenheit und Gegenwart verweben sich zu einem großen Ganzen, das verschwindet, wenn man beide Handlungsstränge losgelöst voneinander betrachtet.

Dieses Problem wurde behoben, als die „Kondorkinder“ im Sommer 2021 im Art Script Verlag neu aufgelegt und als überarbeitete Fassung so herausgebracht wurden, wie sie von Anfang an gedacht waren.

Zwei Geschichten verweben sich zu einer, denn beide haben miteinander zu tun, und das, was in der Vergangenheit geschehen ist, hat Einfluss auf die Gegenwart. Denn das seltsame Buch, das Matteo in die Hände fällt, als er nach dem Ende seines Studiums erleichtert all seine ausgeliehenen Bücher in die Uni-Bibliothek zurückschleppt, ist ein Buch voller Magie, voller Zauber und voller verlorener Geschichten, die vor so vielen Jahren in Perú gesammelt wurden waren – von einer indigenen Rebellengruppe, die sich Kondorkinder nannte und die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Geschichten ihres Volkes zu sammeln, ihnen ein Zuhause zu geben und sie zu hüten. Der oder die Yuyaq, ein Mensch der sich erinnert, sammelt die Geschichten, schreibt sie auf und wacht über das Buch.

Im 18. Jahrhundert fällt die Aufgabe, Yuyaq zu sein, dem jungen Yawar zu, der mit seiner Mutter in den Anden lebt und sich nichts sehnlicher wünscht, als lesen und schreiben zu lernen.

In der Gegenwart begegnen wir dem eher nüchternen, sachlichen Matteo, der immer nach einer logischen Erklärung für alles sucht und vollkommen aus dem Gleichgewicht geworfen wird, als ihm plötzlich ein uralter Fluch auf den Fersen ist.

Hilfe kann er nur finden, wenn er es schafft, sich mit Malinka zu arrangieren, die er für eine hoffnungslose Träumerin hält – doch sie hat aufgrund ihres eigenen Studiums das Wissen über Perú, über Land und Leute, das Matteo braucht, um sich in dem ihm vollkommen fremden Land auf die Suche nach dem Ursprung des Fluchs zu machen, der ihn langsam aber sicher buchstäblich auffrisst.

Jedem Wort in „Kondorkinder“ merke ich an, wie gut auch Sabrina Perú kennt und dass sie die meisten der beschriebenen Orte auch selbst schon bereist hat. Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Buch schon gelesen habe, aber es ist jedes Mal so, als würde ich mich zusammen mit Malinka und Matteo auf die Reise machen und mit ihnen auf der Suche nach dem Fluch durch Perú streifen. Die Geschichte ist spannend und dabei voller Poesie und Träume, sie zeigt das sagenhafte Perú, aber auch den dort noch immer herrschenden Rassismus und die aus der Kolonialisierung entstandenen Missstände werden nicht unter den Teppich gekehrt.

Für mich gehört „Kondorkinder“ zu meinen allerliebsten „immer-wieder-lese-Büchern“ – und es ist für mich das perfekte Mittel gegen Schreibblockaden. Denn es lehrt: „Geschichten sind wilde Tiere. Du kannst ihr Vertrauen gewinnen, aber du kannst sie nie ganz zähmen.“ Also mal ehrlich: Wie schön ist das denn?