Interview Ann-Kathrin Karschnick

Hallo Kuddel, vielen Dank, dass du dich für dieses Interview zur Verfügung stellst. Du bist ja sowohl im Tintenzirkel, in deiner Fangemeinde als auch unter schreibenden Kolleg*innen bekannt und teilweise ,,gefürchtet“ für deine wahnsinnige Schreibleistung. 😄 Wenn ich bei deinen Pseudonymen – es sind insgesamt fünf 1/3, richtig? – nichts übersehen habe, kommst du auf insgesamt 35 Bücher, 15 Novellen, fünf Staffeln eines Hörspiels in Kooperation mit zwei weiteren Autor*innen und neun Kurzgeschichten. Hinzu kommt die Herausgeberschaft von zwei Anthologien. Das alles mit nur bald 37 Jahren. Ich bin seit einem knappen halben Jahr 37 Jahre alt und kann mich nur wiederholen: eine wahnsinnige Leistung!

Das führt mich auch gleich zur ersten Frage. Teilweise musstest du sicher parallel an verschiedenen Projekten arbeiten, um zumindest die Deadlines von Audible für das Hörspiel zu schaffen, und auch sonst hat das Leben viele Herausforderungen zu bieten. Wie schaffst du es, so viel zu produzieren?

AK: Hallo ihr Lieben, vielen Dank erst mal für das Interview. Normalerweise stelle ich mich vor mit: Moin, ich bin Kuddel und ich bin schreibsüchtig. Und das erklärt vielleicht das meiste schon. Tatsächlich liebe ich einfach sehr, was ich tue, weswegen ich schon seit über 17 Jahren mittlerweile aktive schreibe. Anfangs noch sehr verhalten mit 1 Buch pro Jahr. Inzwischen schaffe ich 1-2 Hörbuch-Staffeln und 1-3 Bücher dazu im Jahr. Es kommt natürlich auf die Länge und die Komplexität der Bücher an. Bei einigen Themen muss ich länger recherchieren. Bei anderen kann ich direkt losschreiben, weil ich mich in der Thematik auskenne.

Ansonsten kann ich nur sagen: Ich bin sehr diszipliniert. Selbst wenn mir mal nicht nach schreiben ist, setze ich mich hin und produziere ein paar Seiten. Auch wenn es vielleicht nur 2 oder 3 sind, habe ich etwas geschafft, was sicher nicht nur schlecht geschrieben ist. Und ich mache sowieso hinterher noch einige Überarbeitungsdurchgänge, in denen ich vieles ausbügeln kann.

Wie bist du zu Audible gekommen und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Audible und deinen Mitautor*innen?

AK: Das habe ich meiner Agentur Langenbuch&Weiß zu verdanken. Die sprachen mich 2018 an, ob ich nicht zu einem der von Audible vorgegebenen Pitches ein Exposé schreiben will. Gesagt, getan. Leider nahm Audible das Projekt nicht, aber als 2019 nach Autor*innen für verschiedene Teams gesucht wurde, habe ich mich erneut auf Anraten meiner Agentinnen beworben. Dann wurde ich zu einem Workshop eingeladen, auf dem wir 7 Ideen in 2 Tagen entwickelt haben und im Anschluss kam ich in die Finalrunde. Inzwischen schreibe ich nun seit fast 3 Jahren für Audible und wir sind bereits in der nächsten Serie involviert. Von dem Anfangsteam ist nur die Headwriterin und eine weitere Autorin übrig. Die dritte Schreibende im Bunde hat in den Jahren drei Mal gewechselt, was es spannend und abwechslungsreich macht. Neue Augen sehen schließlich noch mal mehr als wir „alten Hasen“. Wir haben uns als Team dazu entschieden, es uns beim Plotten schwerer zu machen, dafür aber beim Schreiben leichter. Wir haben uns drei Protagonisten genommen und denen dieselbe „Screentime“ gegeben. Dadurch ist es leichter beim Schreiben, da wir weniger in einem einzigen Stil schreiben müssen. Jede Figur bekommt durch unseren Stil seine eigene Marke. Dafür ist es durchaus schwieriger beim Plotten, da wir alle dasselbe Geld bekommen und entsprechend alle dieselbe Wort-/Seitenzahl schreiben sollen. Ich bin sehr glücklich, dass ich meine liebe Kollegin habe, mit der ich sogar außerhalb von Audible mittlerweile ein Projekt plane. 😊

Du schreibst in unterschiedlichen Genres. Wie hat sich das ergeben und von welchen Vor- bzw. Nachteilen, unterschiedliche Genres zu bedienen, kannst du berichten?

AK: Das ist historisch gewachsen, wie es so schön heißt. Ich hatte mir geschworen, NIEMALS Romance zu schreiben. 2017 war ich dann aber mit Anika Beer, Alana Falk, Laura Kneidl und noch ein paar weiteren Autorenkolleg*innen auf der FBM essen. Ich erzählte von einer Idee, die ich in einer schlaflosen Nacht (dank der damals gerade erst 1-jährigen Räubertochter) hatte und wollte eigentlich darüber lästern. Doch Laura meinte: Wenn du das schreibst, wird das garantiert in den Top 100 bei amazon landen. Also dachte ich mir, ich probiere es einfach mal. Sie hatte nicht ganz recht, da es „nur“ auf Platz 172 landete, aber es zeigte mir, dass ich scheinbar doch Romance schreiben und (was für meine Ziele als Vollzeitautorin notwendig war) damit Geld verdienen kann.

Ein Vorteil ist, dass mir nicht langweilig wird, weil ich nie dieselben Mechanismen wiederverwende. In einem Liebesroman ist der Weltenbau längst nicht so intensiv wie in einem Fantasyroman. Dafür müssen die Charaktere in den LiRo’s viel mehr Vergangenheit und Möglichkeiten bieten, da sich die Geschichte hauptsächlich über die Charaktere trägt. Außerdem ist es für Verlage interessanter, wenn jemand vielseitig einsetzbar ist. Dadurch kommt auch schon mal ein Verlag auf mich zu und bietet eine Auftragsarbeit an.

Nachteil ist, dass natürlich alle Genres möglichst gleichmäßig bespielt werden sollen. Deswegen ist es manchmal nicht so leicht, die Zeit neben der Familie zu finden, das zu schaffen.

Wie war die Arbeit als Herausgeberin und welche Erfahrungen konntest du daraus für dich mitnehmen?

AK: Als Herausgeberin hat man erst mal einen Arsch voll Arbeit. Ehrlich. Unterschätzt das nicht, ihr Lieben. Es kommt natürlich immer darauf an, was man sich als Herausgeberin ans Bein bindet, aber meist endet es nicht damit, dass man alle Geschichten liest. Im Anschluss bespricht man sich mit dem Verlag oder vorher mit der zweiten herausgebenden Person. Aber es ist auch ein Erlebnis, weil ich immer wieder neue Autor*innen früh kennenlernen kann. Manchmal entdeckt man so junge Talente, die man einige Jahre später in den Vorschauen der Großverlage wiederfindet.

Auf Twitch gehst du regelmäßig mit Coworkingstreams live, mit denen du dich und andere dazu antreibst, Aufgaben zu erledigen – in deinem Fall überwiegend solche, die mit deiner Autorinnentätigkeit zu tun haben. Wie wirken sich diese Streams auf deine Produktivität im Vergleich zur vorherigen Arbeitsweise und generell auf dich und dein Umfeld aus und wie viel Zeit investierst du vor der Kamera bzw. offline in deine Arbeit?

AK: Meine Produktivität war am Anfang, als ich mit Twitch angefangen habe, vollkommen im Keller. Es war Lockdown, ich hatte zwei kleine Kinder, wovon eines nicht in die KiTa durfte, weil ich ja mit K2 in Elternzeit zuhause war. Sprich, ich habe nur offline abends gearbeitet, wenn die Kinder geschlafen haben. Meine Konzentration war im Eimer. Als ich dann mit Twitch im Sommer 2021 intensiver anfing, half es mir ungemein zu wissen, dass da Menschen waren, die mir zuschauten, die Wortzahlen sehen wollten. Das hat mir den nötigen Fokus zurückgegeben.

Ich arbeite werktags meist 4-5 Stunden online auf Twitch von 8/9-13 Uhr. Danach mutiere ich kurz zur Hausfrau (Essen kochen), ehe ich die Kinder abhole. Manchmal arbeite ich dann abends noch offline 1-2 Stunden, um Social Media, Buchhaltung oder Interviewanfragen 😉 zu beantworten.

Deine aktuellste Veröffentlichung ist Assassin’s Wood: Bürokratie kann tödlich sein. Meines Wissens nach entstand dieser Roman auf eher ungewöhnliche Weise. Wie kam es zu diesem Roman?

AK: Die Idee zu dem Roman hatte ich in der LBM Messe-WG mit einigen TiZi-Autorinnen 2017. Ich träumte eine Szene aus Sherlock (In der sie am Themseufer eine Leiche finden) weiter. Statt die Leiche nur zu untersuchen, hat Sherlock in der Wangentasche eine Visitenkarte mit einem Zeichen gefunden. Das erzählte ich dann beim Frühstückstisch und wie das so unter Autorinnen ist, die noch keinen Kaffee intus haben: Es eskalierte leicht. Nach fünfzehn Minuten hatte ich Madera, die verbeamtete Assassinenwelt mit den sprechenden Gehölzen entwickelt. Durch Zufall traf ich eine Lektorin von Blanvalet 2017 auf dem PAN-Branchentreffen, die die Idee interessant fand. Leider lehnte die Programmchefin des Verlags die Idee schlussendlich ab. Also landete die Idee mit 112 geschriebenen Seiten in der Schublade. Bis zum Nov 2020. Da las ich meiner Twitch-Community das erste Kapitel vor, weil wir im Stream noch etwas Zeit hatten. Die Zuschauenden verliebten sich instant in die Nebenfigur Wurzel, einen töpflich und geistig inkontinenten Bonsai. Sie schrien so laut und lange, dass ich irgendwann gesagt habe, wir machen ein Crowdfunding zu dem Roman. Ein Jahr später war es dann so weit und ich startete das CF. Und nach nicht ganz 17 Stunden war das erste Ziel von 4.500 € für die Kosten des Lektorats, des Covers, der Innenillustrationen und des Buchsatzes erreicht. Also machten wir weiter, bis wir sogar Ziel Nr. 2 schafften. In einigen Monaten wird es nämlich auch noch ein Hörbuch zu dem Buch geben. 😊

2014 hast du den Deutschen Phantastik-Preis und den HomBuch-Preis bekommen. Letzteren hast du 2015 noch einmal erhalten. Wie fühlt es sich an, eine solch greifbare Anerkennung für deine Leistungen verliehen zu bekommen?

AK: Das ist einfach unbeschreiblich. Wirklich. Bis heute begreife ich nicht, wie das überhaupt passieren konnte. Also klar, die Menschen haben für mich abgestimmt und an mich geglaubt, aber es ist dennoch surreal. Als dann 2019 noch der BuCon-Ehrenpreis für meine Verdienste in der Phantastik dazu kam, war ich erst recht platt. Es gibt so viele Frauen, die viel mehr machen als ich. Ich trage nur ein grünes Kleid und erzähle allen, wie toll Phantastik doch ist. 😊

In meinen Augen bist du eine erfolgreiche Autorin, was bekanntlich Definitionssache ist. Hast du dir deinen Erfolg so vorgestellt, als du mit dem Schreiben begonnen hast, und bist du zufrieden?

AK: *lach* Nein, niemals. Ich sehe mich auch immer noch nicht als erfolgreiche Autorin an. Aber wie du schon sagst, es ist Definitionssache. Für mich ist es einfach nur so schön, das tun zu können, was ich liebe. Der Glaube meiner Community daran, dass mein Schreiben es wert ist, von ihr gefördert zu werden, macht mich jedes Mal wieder sprachlos. Dennoch arbeite ich immer noch daran, eines Tages meine Bucketlist des Schreibens weiter abzuarbeiten. Einige Dinge sind da noch drauf, die ich vielleicht nie erreichen werde, aber für die es sich lohnt, weiterzumachen.

Wenn du die Möglichkeit hättest, an einen bestimmten Punkt deines schriftstellerischen Lebens zu springen, würdest du etwas ändern wollen und wenn ja, was?

AK: Klar fallen mir da viele Zeitpunkte ein. Ich würde meinem 20-jährigen Ich sagen: Warte noch mal ein bisschen mit dem Veröffentlichen. Gönn dir noch ein paar Schreibratgeber und etwas mehr Lebenserfahrung. Oder ich würde nach 2013 springen, um mich vor der Zusammenarbeit mit einem Verlag zu warnen. Aber andererseits denke ich mir: All diese Erfolge/Niederlagen, die ich erlebt habe, die Umwege, die ich genommen und die mich viel Zeit gekostet haben, haben mich hierher geführt. Ich lebe seit Feb. 2022 vom Schreiben. Ich darf in allen Formularen Autorin als meinen Beruf angeben und das ist es wert zu sagen: Nein, ich würde nichts ändern wollen.

Inwiefern spielen deine Mitgliedschaft bei PAN, dem Phantastik Autoren Netzwerk e. V., und die Unterstützung deiner Fangemeinde über Patreon eine Rolle bei deinem Erfolg?

AK: Die Mitgliedschaft bei PAN ist für mich essentiell, weil die Vernetzung der Phantastikautor*innen extrem viel dazu beiträgt, das Genre bekannter zu machen. Ich meine, PAN hat eine eigene Bestenliste, die in vielen Buchhandlungen mittlerweile dargestellt wird. Klar hilft PAN dabei, die Phantastik salonfähiger zu machen und es nicht als „Nischengenre“ zu belassen, wie es einige vermeintliche Literaten gerne tun.

Patreon ist immens wichtig. Denn die Einnahmen, die ich über Patreon habe, sind ein festes Einkommen jeden Monat. Ich kann zwar nicht auf Dauer damit rechnen, aber es gibt schon etwas mehr Sicherheit, wenn man weiß, dass dort Menschen sind, die an mich und mein Schreiben glauben. Die mich dabei unterstützen und eigentlich nicht einmal was zurück haben wollen.

Zum Ende möchte ich dich darum bitten, ein Schlusswort abzugeben. Das kann alles Mögliche sein, das du uns an dieser Stelle gerne mitgeben möchtest.

AK: Ich möchte einfach danke sagen. Denn der TiZi ist das einzige Forum, in dem ich bis heute bin. Durch das Forum habe ich Kolleg*innen kennengelernt, mit denen ich heute eng befreundet bin. Der Tintenzirkel hat mich damals aufgenommen, als ich noch ganz am Anfang stand, hat mich an die Hand genommen und mir gezeigt, wie die Buchbranche funktioniert, als ich es selbst noch nicht wusste. Dieses Wissen gebe ich heute gerne an meine Community weiter, weil ich es wichtig finde, Neulinge nicht in dieselben Fallen tappen zu lassen, die ich mitgenommen habe. 😊

Am liebsten würde ich dir noch viel mehr Fragen stellen, aber das soll es für heute sein. Vielen Dank für das tolle Interview!

AK: Ich habe zu danken. Vielleicht führen wir das ja zu einem späteren Zeitpunkt weiter.

 

Das Interview führte Verena Jung im August 2022.